Prozess-Tag Nr. 4 vom 15. Mai 2024

Abkürungen:

  • VR … Vorsitzender Richter
  • GBA … Generalbundesanwalt oder Generalbundesanwältin

[Prozessbeginn: 9.48 Uhr]

Der VR fragt nach der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten Ralf S. Dieser gab an, er wolle keine Aussage machen aufgrund seines gesundheitlichen Zustands.

Der Senat beschließt daher die Beschuldigtenvernehmung von Ralf S. zu verlegen und die Beweisaufnahme im Fall von Markus L. vorzuziehen, dem eine versuchte Tötung bei der Durchsuchung seiner Wohnung am 22. März 2023 zur Last gelegt wird.

Den Verteidiger*innen wird das Vernehmungsprotokoll der Angeklagten und ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkelmann, die bei ihrem Haftprüfungstermin am 6. Mai 2024 mehrere Stunden lang Angaben gemacht hatte, zur Verfügung gestellt.
Der GBA gibt an Sacheinlassungen in München oder Frankfurt bei Haftprüfungsterminen würden Informationen weiter geleitet.

Der GBA nimmt Stellung zu dem Antrag von RA Matthias Sigmund, Verteidiger von Steffen Wilde, jeden Prozesstag einen Bericht über aktuellen Stand in anderen Prozessen zu Erkenntnissen in der Sache voranzustellen.
Der GBA gibt bekannt, er wolle Informationen bündeln.

Der VR behandelt einen Nachermittlungsauftrag zu den TKÜ-Dateien, die bisher nur beim BKA in Meckenheim einsehbar seien.

Der GBA meint dass diese Audio-Dateien eine Laufzeit von über 250 Tagen hätten.

Der VR verweist, dass es darum gehe wie der Zugriff handlebar sei. Ob man die Dateien wie Aktenteile behandeln könne. Es stelle sich die Frage der Exportierbarkeit.

Der GBA will sich erkundigen.

Die GBA in Tandler tritt dem Antrag der RAinnen von Wolfram S. auf Aufhebung der Einschränkungen nach dessen Einlassungen entgegen. Auch die Aussagen von Wolfram S. hätten weder ergeben dass er die Gruppe für aufgelöst hielt und er habe sich nicht wirklich distanziert. Zudem hätte er in seinen Aussagen „selektive Erinnerungslücken“ aufgewiesen.

Er habe zwar angegeben sich nach dem ausgebliebenen ‚Tag X‘ von der Vereinigung zurück gezogen zu haben, aber er habe das Vorhaben selber nicht in Frage gestellt.

Von dem Angeklagten Andreas M. habe sich Wolfram S. auf Grund von dessen Umgang mit Datensicherheit distanziert, nicht wegen Inhalten.

Holger Böltz und Buket Yildiz-Özdemir, die Verteidigung von Markus L., bitten um eine Pause, sich mit ihrem Mandanten auf die vorgezogene Beweisaufnahme vorzubereiten.

[10.33-11.27 Uhr: Pause]

Beweisaufnahme im Fall Markus L.

Der Angeklagte Markus L. habe am 14. Mai 2021 mit 90 Personen an einer Corona-Demonstration in Ofterdingen (Kreis Tübingen) teilgenommen, u.a. auch mit Martin S. und dem Mit-Angeklagten Matthias H.. Mit anderen „Veteranen“ hätte er ein schwarzes Barett getragen. Deswegen sei er wegen des Verstoßes gegen das Uniform- und Kennzeichenverbots sei er zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 40 Euro, also 1.200 Euro, verurteilt worden.

Der Angeklagte habe am 9. Juli 2022 die Verschwiegenheitserklärung mit Kürzel OG [vermutlich Obergefreiter] unterschrieben.

Der Angeklagte habe über eine sprengstoffrechtliche Erlaubnis verfügt.

Es werden mehrere Dokumente als Beweise durch Verlesung eingeführt:

  • ein Dokument des Bundeskriminalamts zur Anregung von Durchsuchungsbeschluss bei Markus Peter L. in Reutlingen, 8. März 2023
  • Vermerks der GBA beim Bundesgerichtshof, 10. März 2023
  • Durchsuchungsbeschluss des Bundesgerichtshof gegen Markus L. als Person, seine Wohnung und seine Fahrzeuge in Reutlingen vom 15. März 2023.
  • Urkunde vom 23. März 2023 vom GBA zur erweiterten Hausdurchsuchung wegen versuchten Tötungsdelikts.
  • Auskunft aus dem Bundeszentralregister des Bundesamts für Justiz zu Markus L. vom 25. August 2023
  • Strafbefehl des Amtsgerichts Tübingen wegen Verstoß gegen Uniform-Verbot vom 26. November 2011
  • Vermerk aus der Gerichtsakte von Markus vom 18. April 2024
    Markus L. habe seine Strafe bezahlt, der Angeklagte Matthias H. habe seine Strafe teilweise bezahlt und verbüße den Rest als Ersatzfreiheitsstrafe.
  • Vermerk des Bundeskriminalamt vom 11. August 2023 zur Auswertung des Einsatzvideos des SEK-Beamten Nr. 6 (gekürzt und anonymisiert) von der Hausdurchsuchung bei Markus L. am 22. März 2023
  • Vermerk des Bundeskriminalamt vom 18. August 2023 zur Auswertung von vier weiterer Einsatzvideos, alle bearbeitet

RA Holger Böltz schätzt die Hausdurchsuchung bei seinem Mandanten als rechtswidrig ein, weil dem Angeklagten die freiwillige Herausgabe der Beweise nicht eingeräumt wurde.

Der GBA tritt dem entgegen. Das Video würde das Gegenteil beweisen.

Inaugscheinnahme Einsatzvideo der Hausdurchsuchung bei Markus L. am 22. März 2023 [6,28 Minuten].

Das ganze wirkt wie eine Videospiel-Perspektive.
Man hört die Rufe „Polizei“.
Eine Drohne fliegt im Treppenhaus und in die Wohnung von Markus L.
Die SEK-Mitglieder tragen Schutzschilder.
Mehrfach werden Sätze gerufen wie: „Markus L. komm raus und zeig die Hände!“,
„Zeig mir Deine Hände.“ oder „Markus, Leg die Waffe weg.“
Einmal ruft Markus L.: „Zieht euch zurück oder ich schieße.“
Schüsse sind zu hören.
Man hört einen Ruf: „Bin getroffen“. Er habe einen „Treffer im Arm“.
Später hört man den Getroffenen noch mal: „Mein Arm ist komplett im Arsch“
Ein Rückzug wird angeordnet.
Ein Feueralarm geht los.

[12.-13.39 Uhr: Mittagspause]

RA Holger Böltz verweist auf die aggressive Vorgehensweise bei der Hausdurchsuchung. Er sehe subjektive Tatbestände wie Sachbeschädigung oder versuchter Totschlag seitens der Polizei.

Es habe keinerlei Hinweis darauf gegeben, dass eine Durchsuchung stattfände oder gar eine Bekanntgabe, dass die Durchsuchung durch eine freiwillige Herausgabe abgewendet werden könne. Stattdessen sei habe es ein „überfallartiges Eindringen“ gegeben.

Sein Mandant habe in einer späteren Vernehmung gesagt: „Sie hätten ja einfach klingeln können.“

Immerhin habe die Durchsuchung bei einem Nichtverdächtigen stattgefunden. Der Einsatz des SEK „war von vorne bis hinten rechtswidrig“.

Inaugscheinnahme eines zweiten Einsatzvideo der Hausdurchsuchung bei Markus L. am 22. März 2023 [ca. 46 Minuten].

Das Video stammt aus einer im Haus eingesetzten Drohne. Da sie sich meistens auf dem Boden befindet, ist das Video vor allem aus der Froschperspektive.

Man bekommt mit wie die Tür aufgesprengt wird, dann folgen die bereits zitierten Rufe.

Man hört undeutlich eine geschriene Kommunikation. Gegen Ende der 46-minütigen Aufnahme sieht man, wie Markus L. mit erhobenen Händen aus der Tür tritt. Es sieht so aus, als habe er eine Weste an.

Zwischenzeitlich kritisierte der VR die Kommunikation der Angeklagten untereinander. Er habe das Trennungsgebot nicht aufgehoben damit sie sich laut unterhalten könnten. Er könne sie auch umsetzen oder einen Beamten dazwischen.

Inaugscheinnahme eines dritten Einsatzvideo der Hausdurchsuchung bei Markus L. am 22. März 2023 [ca. 46 Minuten].

Es wird ein weiteres 46-minütiges Drohnenvideo gezeigt. Der VR kündigt an gegen Ende des Videos das Abspielen zu stoppen, weil dann zu sehen ist wie sich Markus L. entkleide.

Die Drohne befindet sich diesmal im Treppenhaus. Man sieht wie die Tür von Markus L. aufgesprengt wird. Später sieht man wie die Beamten sich nach dem Schusswechsel aus der Wohnung von Markus L. zurückziehen.

[Abbruch der Prozessbeobachtung: 15.10 Uhr]