Prozess-Tag Nr. 1 vom 29. April 2024

Am Montag, den 29. April 2024, startete am Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim der Prozess gegen die neun mutmaßliche Mitglieder der Reichsbürger-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, denen die Gründung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) vorgeworfen wird.
Der Prozess am Montag begann mit einiger Verspätung 10.18 Uhr.

Im Saal befanden sich auch mehrere Sympathisant*innen der Angeklagten, die zum Teil aus der Pforzheimer Corona-Protest-Szene kommen sollen und wohl wegen Marco v. H. angereist waren.

Anklageschrift

Die Gruppe sei, so die Anklageschrift, infolge eines Treffens  Ende Juli 2021 von zwei KSK-Mitgliedern mit Video-Zuschalte eines weiteren ehemaligen Berufssoldaten gegründet worden. Dabei habe man beschlossen die bestehende Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland umzustürzen. Im Oktober 2021 sei Prinz Reuß zur Gruppe dazugestoßen.
Die Gruppe habe eine Ideologie aus Versatzstücken von Reichsbürger- und QAnon-Inhalten gehabt. Man sei von der Existenz eines „Deep State“ und dem systematischen rituellen Missbrauch von Kindern, u.a. um aus ihnen ein Verjüngungsmittel zu gewinnen, ausgegangen. Für das Gegenstück zum „Deep State“ habe man eine Geheim-Organisation namens „Allianz“ bzw. „SHAEF“ gehalten. Mit deren Hilfe habe man ab August 2022 einen Umsturz durchführen wollen. Plan war es Beweise für die Verbrechen des „Deep State“ zu sichern. Mit diesen habe man die Bevölkerung nach dem Umsturz von der Richtigkeit seines Handelns überzeugen wollen. Bereits im August 2021 hätten Maximilian E. und Manfred W. den Bundestag ausgekundschaftet.
Für seine Pläne habe man insgesamt eine Summe von 500.000 Euro zur Verfügung gehabt. Außerdem habe man 382 Schusswaffen und 148.000 Schuss Munition gesammelt.
Die Gruppe habe die politische Neugestaltung Deutschlands geplant und angenommen Deutschland stehe weiter unter Kriegsrecht. Als Interim-Gremium sei ein Übergangsrat vorgesehen gewesen. Zeitweise habe man eine Kooperation mit der Gruppe „Vereinte Patrioten“ um Sven B. angestrebt.

Nach den Hausdurchsuchungen bei Manfred W. am 13. April 2022 im Zuge eines Vorgehens gegen die Gruppe „Vereinte Patrioten“ habe man die Strategie geändert. Man habe ab Mai 2022 verstärkt auf einen gemeinsamen Kampf mit der „Allianz“ gesetzt und erwartet diese würde einen Angriff auf der obere Ebene durchführen. Marco v.V. habe behauptet, Kontakt zu dieser „Allianz“ zu haben.

Man habe in diesem Zusammenhang die „Tötung von Menschen“ geplant und Listen hochrangiger Politiker*innen und Amtsträger*innen auf lokaler Ebene angelegt, um diese am ‚Tag X‘ zu exekutieren oder vor ein Kriegsgericht zu stellen.
Der „Verschwörungsirrglaube“ der Gruppe führte ihre Mitglieder in eine „Gedankenspirale, die Handlungsdruck“ erzeugt habe.
Man habe sich nach außen weiter abgeschottet und Anhänger*innen eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben lassen, die Verstöße als Hochverrat unter Todesstrafe gestellt habe. Diese Erklärung hätten 136 Personen unterschrieben.
Es sei ein militärischer Führungsstab unter Rüdiger v. P. eingerichtet worden.
Wolfram S. habe für die IT-Infrastuktur gesorgt mittels eigener verschlüsselter Laptops, Cloud-basierter Kommunikation und Satelliten-Telefone.

Der M-Stab habe auf der Suche nach einem Hauptquartier im Oktober 2022 Liegenschaften der Bundeswehr inspiziert, u.a. die Lechfeld-Kaserne südlich von Augsburg.

Man habe die Aufstellung von 286 Heimatschutzkompanien zu je vier Zügen mit vier Gruppen geplant. Diese hätte man bei Aufräum- und Säuberungsarbeiten einsetzen wollen.

Zwei Kompanien seien schon konkreter aufgebaut worden.

  • Die „Heimatschutzkompanie Nr. 221“ für den Raum Freudenstadt und Tübingen, die von Ralf S. geleitet worden sein soll. Beteiligt war auch Matthias H., der Markus L. rekrutiert haben soll.
  • Die „Heimatschutzkompanie Nr. 148“ für den Raum Jena und Saalekreis, in deren Leitung Marco v. H. eingebunden worden sein soll.
  • Die „Heimatschutzkompanie Nr. 201“ für den Raum Sigmaringen und Bodensee sei bei den Verhaftungen gerade im Aufbau gewesen.

Im April 2022 habe man einen Personenschutz für Prinz Reuß organisiert Alexander Q. stellte der Gruppe seinen Telegram-Kanal „Frag uns doch – das Original“ zur Verfügung und rekrutierte darüber neue Gruppen-Mitglieder. Am 20. September 2022 wurde über den Kanal der Aufruf „48 Stunden. Die Befreiung der Menschheit ist da. Höchste Zeit für die letzten Vorbereitungen“ der Gruppe gepostet.
Die Gruppe plante auch das Bundeswehr-Radio Andernach übernehmen.

Laut der Anklageschrift wurde den Angeklagten, die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ vorgeworfen. Die Anklage listete im Einzelnen pro Angeklagten die Vorwürfe neben dem allgemeinen Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auf.

  • Ralf S. aus Horb wurde vorgeworfen, dass bei ihm Munition und diverse Waffen wie eine verbotene vollautomatische Schusswaffe gefunden wurde.
  • Andreas M. sei ab Juni 2022 Teil der Vereinigung gewesen. Er habe am 2. Juni 2022 eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet, Laptops verteilt und stellte ab dem 19. September 2022 seine Wohnung als Gefechtsstand zur Verfügung. Er sei Mitglied des M-Stabs und wäre am Auskundschaften von Bundeswehr-Kasernen im Oktober 2022 beteiligt gewesen.
    Er habe geplant Ausrüstungs-Depots der Bundeswehr einzunehmen und habe in seiner Garage u.a. schwarze Uniformteile, Sturmhauben und Plastikfesseln gelagert. Außerdem habe er versucht Schusswaffen zu erlangen.
  • Wolfram S. habe sich im August 2022 der Vereinigung angeschlossen. Im August 2022 nahm er an einem Treffen bei Ralf S. teil. In der Gruppe sei er Leiter des Bereichs G6 gewesen, habe zwölf Laptops beschafft und auf ihnen Linux und das Verschlüsselungssystem Lux installiert. Außerdem habe er den Aufbau mehrerer Datenbanken organisiert. Im September und November 2022 habe es einen Testlauf der Datenbanken gegeben.
  • Markus H. sei seit Juni 2022 Mitglied der Vereinigung gewesen. Er habe die Verschwiegenheitserklärung ausgearbeitet, inklusive der Todesstrafen-Androhung. Er habe eine Fluglizenz besessen und mehrere Personen rekrutiert. Zwischen Markus H. und Marco v. H. habe es Streit gegeben.
  • Ralf S. aus Horb habe der Vereinigung ab Juni 2022 angehört. Es habe Treffen bei im Zuhause gegeben und man habe die Hohenberg-Kaserne in Horb am Neckar besichtigt.
    Er sei der Leiter der „Heimatschutzkompanie Nr. 221“ für die Gebiete Freudenstadt und Tübingen gewesen.
    Auf seinem Gartengrundstück seien Patronen gefunden worden.
  • Steffen W. sei seit Juni 2022 Mitglied der Vereinigung gewesen.
    Er habe seine Wohnadresse für Treffen zur Verfügung gestellt
    Er habe eine Funkplan mit abgestimmten Funknamen entworfen. Im Oktober und November 2022 habe er Kontakt zu einem Ex-NVA-Offizier gehabt. Er habe sich Anfang August 2022 aktiv um einen Scharfschützen bemüht. Außerdem hab er am 4. August 2022 die Telegram-Gruppe „Bereitschaft“ gegründet.
  • Matthias H. aus Baisingen bei Rottenburg sei seit Juli 2022 Mitglied der Gruppe. Er sei Admin einer Telegram-Gruppe „Veteranen-Pool“ gewesen. Außerdem sei er „Militärverantwortlicher“ für den Bereich Tübingen gewesen und habe Bedarfslisten für die „Heimatschutzkompanie 221“ erstellt.
    Im Oktober und November 2022 habe er lokale Bürgerwehren aus seinem Reservisten-Netzwerk rekrutiert
  • Markus L. aus Reutlingen sei seit Juni 2022 Mitglied der Gruppe gewesen. Er habe sich für eine Bürgerwehr gemeldet und hätte Vorbereitung auf den ‚Tag X‘ getroffen. Der Sportschütze habe Waffen umgebaut. Bei ihm seien 25 Schusswaffen (u.a. eine Pumpgun, Pistolen, Revolver ), 47 Messer und 47 Kurzwaffen gefunden worden, sowie sonstige Ausrüstung wie Kisten mit Militär-Essen. In seiner Garage hätte man eine Leuchtspur-Panzergranate gefunden. Er durfte sechs Waffen besitzen und habe über eine sprengstoffrechtliche Erlaubnis verfügt. Ihm wurde zudem Mordversuch an zwei Menschen aus niedrigen Beweggründe und Widerstand gegen Amtsträger vorgeworfen. Er hatte sich am 22. März 2023 bei einer Hausdurchsuchung einen Schusswechsel mit einer Sondereinheit geliefert.

Anklage zum Schusswechsel bei Hausdurchsuchung in Reutlingen am 22. März 2023

Markus L. hätte, so die Anklageschrift, von den Hausdurchsuchungen am 7. Dezember 2022 erfahren. Deswegen habe er in Erwartung einer kommenden Durchsuchung mehrere geladene Waffen in seiner Wohnung und seinem Auto postiert.Auf Grund seiner Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung sei eine Hausdurchsuchung bei ihm angeordnet worden. Da er Waffenbesitzer sei, habe das Spezialeinsatzkommando Baden-Württemberg die Durchsuchung durchgeführt. Dieses habe am frühen Morgen des 22. März 2023 seine Wohnungseingangstür mit einer Sprengladung geöffnet. Danach habe man sich durch Rufe als Polizeibeamte zu erkennen gegeben. Die Polizisten hätten sich durch ballistische Schutzschilde, auf denen groß ‚Polizei‘ gestanden habe, geschützt und ihn aufgefordert sich zu zeigen.
Der Angeklagte hätte sich mit einer Langwaffe auf dem Sofa befunden und sich hinter einem großen Drehsessel, den er mit einer Schutzweste versehen habe, verbarrikadiert. Er habe sich geweigert, sich zu ergeben. Die Polizei habe mehrere Schüsse präventiv abgegeben. Markus L. habe das Feuer in Richtung der SEK-Beamten erwidert. Insgesamt habe er zehn Schüsse und das SEK 16 abgegeben.
Ein Schuss von Markus L. habe den Ellenbogen eines Beamten durchschlagen. Daraufhin hätten die Beamten sich zurückgezogen. Nach 37 Minuten und nach einem Telefonat mit seiner Mutter habe er die Wohnung verlassen.
Der Angeklagte habe sich, so der Generalbundesanwalt, zur Schussabgabe legitimiert gefühlt. Die Tatwaffe sei eine halbautomatische Langwaffe gewesen.
Der am Ellenbogen verletzte Beamte habe eine Trümmerfraktur und dadurch dauerhafte Einschränkungen erlitten.
Der Angeklagte habe auch diverse Waffengesetze verletzt.

Anträge und Einwände der Rechtsanwält*innen

Die Anwält*innen stellen mehrere Anträge. Einige davon zielen auf die Zuständigkeit des Gerichts in Stuttgart-Stammheim ab. Der Prozess in Frankfurt/Main beginne am 21. Mai und der Prozess in München am 18. Juni.
Es bestehe die Gefahr dass Zeugen in drei unterschiedliche Prozessen unterschiedliche Aussagen machen. Auch könne ein vermögender Angeklagter Prozessbeobachter zu den übrigen Prozessen entsenden und sich so einen Vorteil verschaffen. Das verstoße gegen den „Grundsatz des fairen Verfahren“ und den „Grundsatz der Waffengleichheit“.
Mehrere Anwält*innen fordern die Prozesse zu verbinden.
Der Anwalt Mohammed des Angeklagten Alexander Q. beantragt den Fall seines Mandanten an das Oberlandesgericht in Frankfurt/Main zu verweisen, da der Wohnort seines Mandanten mit Bad Hersfeld in Hessen liege und die ihm vorgeworfenen Beteiligungshandlungen durch seinen Telegram-Kanal an seinem Wohnort stattgefunden haben sollen. Die Zuständigkeitsverteilung erscheine in seinem Fall willkürlich.
Der Generalbundesanwalt erwidert u.a. dass ein Teil der Angeklagten in Stuttgart nur wenig z.B. mit der Auskundschaftung des Bundestags zu tun habe, die in Frankfurt/Main verhandelt werde. Andererseits wolle sich in Frankfurt keiner darüber unterhalten, was in Horb geschehen sei.
Das Gros der Beweismittel ist elektronisch und die Zahl der Zeug*innen sei überschaubar.
Mehrere Angeklagte kündigen Einlassungen zur Person oder Sache an: Marco v. H., Wolfram S., Markus H.,

Weitere Anträge der Rechtsanwält*innen betrafen die Abschottung ihrer Mandanten, etwa durch einen zwischen-geschalteten Leserichter oder durch die Untersagung des direkten Kontakt, umgesetzt durch eine Trennscheibe bei Besprechungen.

Nach der Mittagspause ging es 14.45 Uhr weiter. Die zweite Tageshälfte begann mit Eröffnungsstatements der Verteidigung des Angeklagten Marco v. H.
Mehrere Rechtsanwält*innen kritisierten eine angebliche mediale Vorverurteilung der Angeklagten und das Ermittlungs-Interna an die Medien durchgestochen worden seien.
Laut der Rechtsanwältin Mohne führe die Berichterstattung zu einer „Pranger-Wirkung“.
In der Presseberichterstattung seien auch Teile der Anklageschrift zitiert worden.

Weitere Themen waren der Umgang mit den Dateien aus der Überwachung. Diese seien lange nur beim BKA in Meckenheim einsehbar gewesen.
In einem deutlich ideologisch gefärbten Statement kritisierte Rechtsanwältin Dannenmeier die Verwendung von Begriffen wie „Reichsbürger“ oder „Verschwörungstheoretiker“ mit dem seit Corona Menschen vorverurteilt würden. Ihr Mandant sei fast die ganze Woche damit beschäftigt gewesen Corona-Demonstrationen zu veranstalten oder daran teilzunehmen. Die Menschen seien damals ausgegrenzt worden. Wer an Verschwörungstheorien glaube sei in Deutschland offenbar ein Terrorist. Jeder habe das Recht, sich zu äußern und jeder könne an Verschwörungstheorien glauben. Es gehe darum unliebsame Meinungen mundtot zu sein.
Das eine AfD-Politikerin angeklagt sei, sei auffällig. Es gehe um die Diffamierung der AfD.
Es gehe nur um Stimmungsmache und handle sich um einen politischen Prozess.
Am Ende erliess der Vorsitzende Richter Selbstleseverfügung. Als Beispiel wurde eine Verschwiegenheitserklärung („Reaktivierung Deutschlands – Vertrag für die Verschwiegenheitspflicht und Geheimhaltungspflicht“) und eine „Chatham House Rule“ vom Richter vorgelesen. Diese „Chatham House Rule“ stammen ursprünglichen vom „Royal Institute of International Affairs“ in London von 1927 und verpflichten ebenfalls zur Verschwiegenheit.

Kurz nach 17 Uhr ging der Prozess zu Ende.

Am 6. Mai 2024 wird der Prozess mit Einlassungen der Angeklagten Ralf S. und Wolfram S. weiter verhandelt.
Bis zum 10. Juli 2024 soll aber eigentlich vor allem der Fall von Markus L. verhandelt werden.